Stell dir vor, du sitzt an einem stillen Ort und versuchst, dich zu entspannen. Doch es gelingt dir nicht. Dein Geist rast, die Gedanken springen von einer Sorge zur nächsten. Du fühlst dich atemlos, unruhig und unausgeglichen. Tagsüber fühlst du dich häufig müde und in der Nacht kämpfst du mit dem Ein- und Durchschlafen. Und das alles, obwohl du eigentlich gesund lebst. Was könnte dahinter stecken? Die Antwort könnte überraschend einfach sein: chronische Überatmung, auch bekannt als Hyperventilation.
Natürliche Atmung – ein Relikt aus der Vergangenheit?
Der Atem reagiert auf alles, was wir erleben. “Jeder Lebenszustand hat seinen eigenen Atem, er ist wie ein Spiegel unseres Seins.”, schreibt Ralph Skuban in seinem Buch Die Buteyko-Methode.
Die Art und Weise, wie wir leben, beeinflusst unseren Atem genauso, wie umgekehrt unser Atemmuster auf unsere allgemeine Befindlichkeit wirkt – auf unseren Körper, auf unsere Gefühle und Gedanken.
Unsere Lebensgewohnheiten prägen unsere Atmung. So haben wir uns im Laufe der Zeit dysfunktionale Atemmuster angewöhnt: Mund- statt Nasenatmung, Brust- statt Zwerchfellatmung, beschleunigt und aufgeregt statt entspannt, ruhig und fließend zu atmen, uvm.
Ungesunde Atemmuster münden meist in chronische Überatmung – Hyperventilation. Dabei ist hier nicht die akute Form der Hyperventilation gemeint, die in Krisensituationen auftritt und gut sichtbar und hörbar ist. Ich spreche hier von einer chronischen Überatmung, die subtiler, kaum sichtbar ist und meistens nicht bemerkt wird.
Was ist Überatmung (Hyperventilation)?
Überatmung bedeutet, dass du mehr atmest, als dein Körper tatsächlich benötigt. Dies führt dazu, dass der Kohlendioxidgehalt im Blut sinkt. Kohlendioxid ist nicht nur ein Abfallprodukt, sondern spielt auch eine wichtige Rolle bei der Regulation des pH-Wertes im Blut.
Ein Mangel an Kohlendioxid im Blut hemmt nämlich die Freisetzung von Sauerstoff aus dem Blut in die Zellen (Bohr-Effekt). Und ein Sauerstoffüberschuss im Blut bedeutet paradoxerweise, dass sich die Sauerstoffmoleküle umso fester an die roten Blutkörperchen binden.
Das hat zur Folge, dass unsere lebenswichtigen Organe nicht ausreichend mit Sauerstoff versorgt werden.
CO2 hat noch viele weitere Vorteile: es öffnet und weitet die Atemwege und erleichtert dadurch die Atmung. Diese gefäßerweiternde Wirkung entlastet das Herz und senkt den Blutdruck, auch die Verdauung funktioniert besser, uvm.
Bei einem normalen Atemzug in Ruhe bewegen wir ca. 500 ml Atemluft. Machen wir acht bis zwölf Atemzüge in der Minute, so atmen wir ca. vier bis sechs Liter Atemluft pro Minute ein – das wäre ein normales Minutenvolumen. Die meisten Menschen bewegen viel mehr Luft pro Minute.
Welche Probleme entstehen durch chronische Überatmung?
Haben wir durch Überatmung zu wenig Kohlendioxid im Körper, so führt dies zu einer Vielzahl von gesundheitlichen Problemen. Die Blutgefäße verengen sich, was die Durchblutung verringert und die Sauerstoffabgabe an die Organe beeinträchtigt.
Hier einige Beispiele, wie sich Überatmung auf unsere Gesundheit auswirken kann:
1. Mentale Probleme: Unruhe, Unausgeglichenheit, Konzentrationsschwäche
Chronische Überatmung kann erhebliche Auswirkungen auf die mentale Gesundheit haben. Die verringerte CO2-Konzentration im Blut führt zu einer verminderten Sauerstoffversorgung des Gehirns, was wiederum Symptome wie Unruhe, Angst, Panikattacken und Konzentrationsschwierigkeiten auslösen kann.
Du fühlst dich angespannt und hast Schwierigkeiten, dich zu entspannen oder klar zu denken. Dies kann zu einem Teufelskreis führen, in dem du noch mehr atmest, weil du dich gestresst fühlst. So werden die Symptome weiter verschlimmert.
2. Immunsystem: Allergien, Erkältungen
Auch dein Immunsystem kann unter chronischer Hyperventilation leiden. Ein unausgeglichener pH-Wert im Blut kann Entzündungsprozesse im Körper begünstigen, was das Risiko für Allergien erhöht.
Gleichzeitig kann der belastende Dauerstress des Körpers, der versucht, das Ungleichgewicht zu korrigieren, dein Immunsystem schwächen. Dadurch wirst du anfälliger für Infektionen wie Erkältungen und andere Krankheiten.
3. Schlafqualität: Schnarchen, unterbrochener Schlaf, OSA, Albträume
Einen weiteren Bereich, in dem sich chronische Überatmung negativ auswirken kann, betrifft die Schlafqualität. Überatmung kann zu einem Ungleichgewicht der Atemmuster während des Schlafs führen, was Schnarchen und sogar obstruktive Schlafapnoe (OSA) verursachen kann.
Diese Zustände führen zu häufigem Aufwachen in der Nacht, was nicht nur die Schlafqualität erheblich beeinträchtigt, sondern auch den folgenden Tag: Tagesmüdigkeit, Konzentrationsprobleme, Unruhegefühle, usw.
Die Kontrollpause – ein Instrument zur Messung der Atemgesundheit
Der ukrainisch-russische Arzt Konstantin Buteyko (1923-2003) erkannte durch seine Forschungen die desaströsen Auswirkungen der Überatmung auf unsere Gesundheit. Mit der sog. Kontrollpause (CP) hat Buteyko eine Methode entwickelt, mit der jeder selbst überprüfen kann, ob er mehr atmet als notwendig.
Mit der Kontrollpausen-Messung können wir nicht nur eine eventuelle Überatmung diagnostizieren, sondern auch unseren Atemfortschritt während eines Atemtrainings überprüfen.
Für die CP-Messung brauchst du eine Stoppuhr mit Sekundenzeiger – z.B. dein Handy.
Bei der CP-Messung geht es nicht darum, so lange wie möglich die Luft anzuhalten!!!
Wir messen die Zeitspanne, in der wir entspannt und ohne Stress in der Atempause bleiben können. Die nächste Einatmung nach der Atempause soll ein ganz normaler Atemzug sein, kein vergrößerter!
Wichtiger Tipp: Die CP-Messung nicht unmittelbar nach dem Essen durchführen, am besten 2-3 Stunden nach der letzten Mahlzeit.
Anleitung zur Durchführung der Kontrollpause
So geht’s:
- Sitze bequem und mit aufrechtem Oberkörper ca. 2-3 Minuten in Stille. Atme ganz normal ein und aus.
- Nach einer normalen Ausatmung schließe die Nase mit den Fingern und starte die Stoppuhr.
- Bleibe so lange in der Atempause, wie es sich entspannt und angenehm anfühlt. Sobald der erste Impuls für die Einatmung kommt, drücke wieder auf die Stoppuhr.
Wie viele Sekunden waren es?
“Durchschnittlich Gesunde” in unserer Kultur haben meistens einen CP-Wert von fünfzehn bis zwanzig Sekunden (Ralph Skuban). Lt. Buteyko bedeutet dieser Wert eigentlich Krankheit bzw. besteht eine erhöhte Disposition für das Entstehen chronischer Krankheiten.
Ab einem Wert von ca. fünfundzwanzig Sekunden gehen die meisten Beschwerden zurück: Der Schlaf verbessert sich, Kurzatmigkeit und Asthma-Symptome verringern sich, Unruhe, Herzrasen usw. gehen zurück.
Lt. Buteyko sprechen wir aber erst bei einem Wert ab vierzig Sekunden (!!!) von echter Atemgesundheit.
Bei vielen meiner Klientinnen lag der Anfangs-CP-Wert zwischen fünf und zehn Sekunden. Doch nach bereits 4 Wochen Training normalisierte bzw. verbesserte sich ihr Zustand immens – sofern sie die täglichen Atemübungen durchführten.
Lösungswege – Raus aus der Überatmung
Die gute Nachricht ist: Du kannst etwas gegen chronische Überatmung tun. Es gibt verschiedene Methoden, um deine Atmung zu normalisieren und dadurch die oben genannten gesundheitlichen Probleme zu lindern.
Meistens können sie nicht nur gelindert, sondern durch stetige Übung vollkommen beseitigt werden.
Durch dieses neue Lebensgefühl erblühen Körper und Geist 🌸
1. Buteyko-Atemtraining
Das Buteyko-Atemtraining ist eine Methode, die speziell entwickelt wurde, um die Atmung zu normalisieren und Hyperventilation zu beenden. Ziel ist es, sich eine natürliche und sanfte Atmung anzugewöhnen.
Dabei lernst du mit speziellen Übungen, bewusster und weniger zu atmen, wodurch der CO2-Gehalt im Blut wieder auf ein normales Niveau gebracht wird. Regelmäßiges Training hilft, die Symptome der Überatmung zu reduzieren, häufig werden sie sogar ganz beseitigt.
So verbessert sich das allgemeine Wohlsein.
2. Meditation und Achtsamkeit
Meditation und Achtsamkeit sind ebenfalls sehr hilfreich, um die Atmung zu regulieren. Nebeneffekte von Achtsamkeitsmeditationen sind Stressabbau und Entspannung in Körper und Geist. Dies wiederum hilft, das Atemmuster zu normalisieren.
Regelmäßige Meditation und Achtsamkeitsübungen helfen, bewusster zu atmen. Körper und Geist kommen zur Ruhe, die Atmung normalisiert sich.
Vorsicht: Breathwork!
Viele verschiedene Breathwork-Methoden boomen derzeit. Dabei werden häufig Techniken eingesetzt, die zu „höheren“ Bewusstseinszuständen führen sollen. Fast immer sind Atemübungen dabei, die besonders schnelle und/oder große Atemzüge beinhalten.
Durch diese bewusst herbeigeführte Überatmung entsteht akuter Sauerstoffmangel in den Organen, vor allem im Gehirn.
Und genau diese Sauerstoffunterversorgung evoziert „andere“ Bewusstseinszustände, die manchmal durchaus zu spirituellen Höhenflügen, aber leider auch zu Ohnmacht, Panik, etc. führen können.
Daher raten alle seriösen Atemexperten zu erhöhter Vorsicht! Sie empfehlen, zuerst NATÜRLICH und SANFT ATMEN zu lernen, also zunächst die GRUNDSCHULE zu besuchen und erst dann, wenn man möchte, fortgeschrittene Atemtechniken auszuprobieren.
Grundschule heißt: 1) die Atemmechanik zu korrigieren und 2) die Biochemie der Atmung zu normalisieren und erst dann 3) fortgeschrittene Techniken (Atemrhythmik) auszuprobieren
Fazit
Chronische Überatmung ist ein häufiges, aber oft übersehenes Problem, das eine Vielzahl von gesundheitlichen Beschwerden verursachen kann. Von mentalen Problemen über ein geschwächtes Immunsystem bis hin zu schlechter Schlafqualität – die Auswirkungen können vielfältig und weitreichend sein.
Doch es gibt Hoffnung: Mit gezielten Atemübungen, wie dem Buteyko-Atemtraining und durch Praktiken wie Meditation und Achtsamkeit kann die Atmung wieder sanft und natürlich werden werden. Das wirkt direkt auf Gesundheit und Wohlsein.
Du siehst, Atmen ist zwar ein scheinbar einfacher und natürlicher Vorgang, den wir vollständig automatisiert haben.
Atmen ist jedoch auch gleichzeitig ein äußerst komplexer Prozess, der sämtliche Organe unseres Körpers berührt. Nicht nur das: Atmen geht über das Körperliche hinaus, denn die Art und Weise, wie wir atmen, hat großen Einfluss auf unsere mentale Befindlichkeit.
Atme sanft und erfreue dich an deinem Leben 🌞 💫 😊
AUDIO und VIDEO inkl. Atemmeditation
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