Vor einigen Tagen feierten Buddhisten den Feiertag CHÖKHOR-Düchen, das Drehen des Dharmarades. Heuer war Chökhor-Düchen Anfang Juli. An diesem Feiertag erinnern wir uns an die erste Lehrrede des Buddha, die er 49 Tage nach seinem Erwachen vor über 2.500 Jahren im Hirschpark von Sarnath (Varanasi, Indien) gehalten hat. Diese Lehre umfasst die Vier Edlen Wahrheiten, welche zeitlos und für uns alle relevant sind. In diesem und dem nächsten Blogbeitrag werde ich die Vier Edlen Wahrheiten näher beleuchten.
Die Vier Wahrheiten sind die Grundlage des gesamten Buddha-Dharma. Alle buddhistischen Traditionen sind eingebettet in das System der 4 Wahrheiten als Basis, Pfad und Frucht – auch wenn sie sich hinsichtlich Interpretation und Übungspfad geringfügig voneinander unterscheiden können.
Der Lehrer
Buddha ist in erster Linie ein geistiger Lehrer. Er lehrt aus eigener Erfahrung und zeigt den Weg zum Erwachen auf.
So wie ein Bergführer, der den Weg kennt und uns sicher zum Gipfel führt.
Buddha selbst sagte einmal, er könne die Taten und die Leiden der Lebewesen nicht wegwaschen oder beseitigen. Ebenso sei es ihm nicht möglich, seine Erkenntnisse auf andere zu übertragen.
Buddhas befreien, indem sie die Wahrheit aufzeigen und den Pfad zur Wirklichkeit lehren.
Eine einwandfreie Lehre und fehlerfreie Praxis sind daher essentiell auf dem Weg zum Erwachen.
Schrift-Dharma und Erkenntnis-Dharma
Man spricht vom Schrift-Dharma und vom Erkenntnis-Dharma, wobei der Erkenntnis-Dharma die Frucht der eigenen Übung ist, also die praktische Anwendung und Verwirklichung des Schrift-Dharma.
Anders gesagt: Solange wir nur lesen oder die Lehren hören (= Schrift-Dharma), ist es so, als würden wir den Beipackzettel eines Medikaments oder eine ausführliche Therapiebeschreibung bloß lesen.
Transformation und Heilung passieren nur dann, wenn wir die Lehren in die Praxis umsetzen bzw. im Falle einer Krankheit die oft langwierigen Therapien durchführen.
Buddha empfiehlt weiters, nicht etwas zu glauben, nur weil er oder ein Weiser es gesagt haben. Vielmehr sollten wir die Aussagen gründlich prüfen und testen bevor wir sie anwenden.
Die Lehrrede
Die Lehrrede von den Vier Edlen Wahrheiten wird häufig kurz und prägnant dargestellt:
1. Die wahren Leiden – sind zu erkennen.
2. Die wahren Ursachen – sind aufzugeben.
3. Die wahren Beendigungen – sind zu verwirklichen.
4. Die wahren Pfade – sind zu üben.
Die ersten beiden Wahrheiten zeigen den Weg zum Leiden und die dritte und vierte Wahrheit weisen den Pfad zur Befreiung auf.
Heute betrachten wir die ersten beiden Wahrheiten, die Wahren Leiden und die Wahren Ursachen der Leiden.
Die 1. Wahrheit: Die Wahren Leiden…
…sind zu erkennen.
Ein g’scheiter Pädagoge weiß, dass Schüler viel leichter lernen, wenn sie eine emotionale Betroffenheit spüren. So auch der Buddha. Daher lehrte er zuerst die Wirkungen, nämlich die Leiden, obwohl sie – zeitlich gesehen – erst nach den Ursachen entstehen.
Vielleicht denkst du: “Mit dem Leiden will ich mich nicht freiwillig beschäftigen.” Doch Leiden ist allgegenwärtig und beherrscht unser Leben. Viele Handlungen geschehen aus Angst vor dem Leiden.
Auch das Geschäftsmodell von Versicherungen bezieht sich auf alle möglichen Arten von Leiden.
Buddha empfahl, die verschiedenen Arten des Leidens eingehend zu betrachten und zu meditieren, um sie schließlich tatsächlich zu ERKENNEN.
Die Leiden zu identifizieren ist vergleichbar mit der Arbeit eines Arztes, der versucht, eine Krankheit zu diagnostizieren. Je eindeutiger die Diagnose, desto leichter kann die Krankheitsursache festgestellt und eine geeignete Therapie gefunden werden.
Es gibt verschiedene Arten, Leiden einzuteilen, hier die wichtigsten zum Nachdenken:
Die vier Arten des Leidens:
Geburt, Alter, Krankheit, Tod.
Betrachten wir das Leiden des Alterns:
“Unser schöner Körper verfällt ganz und gar: Der Rücken wird krumm wie ein Bogen (…). Wir werden unansehnlich. (…) Die Sinneskräfte lassen nach: Die Augen erkennen die Formen nicht mehr klar; das Denkvermögen nimmt ab, wir werden vergesslich usw.”
(…) Der tibetische Meister Kamawa sagte: “Gut, dass das Alter allmählich kommt – käme es auf einmal, wäre es unerträglich.”
(zitiert aus: Je Tsongkhapa. Der Mittlere Stufenweg)
Über die Leiden der Krankheit wissen wir alle Bescheid – aus eigener Erfahrung und von Freunden und Verwandten.
In meinem Umfeld haben z.B. innerhalb des letzten Monats zwei Personen die Diagnose “Krebs” erhalten. Operation, Chemotherapie, Angst und Unsicherheit verursachen große körperliche und psychische Leiden.
Vor allem während der ersten Monate sind Angst vor dem Tod und Sorge um die Familie ständige Begleiter. Nicht nur für die Betroffenen selbst. Das gesamte Umfeld leidet mit.
Heute Nachmittag traf ich zufällig einen Bekannten, von dem ich weiß, dass er sehr krank ist. “Wie geht es Ihnen?”, fragte ich. “Nicht gut”, antwortete er mit schmerzverzerrtem Gesicht. “Haben Sie Schmerzen?”, fragte ich. “Ja, große”, antwortete er und wechselte schnell das Thema. Wir unterhielten uns kurz über freudvollere Dinge. Er lächelte. Dann trennten sich unsere Wege wieder. Der Schmerz kam zurück in sein Gesicht. Mein Herz weint.
Der Tod bedeutet Trennung auf allen Ebenen:
- Trennung von der Familie, von Freunden und Bekannten
- Trennung von unserem Besitz und
- Trennung vom eigenen Körper, der uns während des Lebens so wichtig geworden ist.
Der Tod bedeutet aber vor allem auch Trennung von diesem Leben.
Weiters gibt es die Gruppe der Drei Arten von Leiden:
Die drei Arten des Leidens:
Schmerz, Wandel, Existenz
1. Das Leid des Leidens
Diese Kategorie umfasst alle offensichtlichen Leiden, wie z.B. körperliche Schmerzen und geistige Leiden, wie Traurigkeit, Melancholie usw.
2. Das Leid des Wandels
Diese Leiden sind schon etwas schwieriger zu begreifen. Denn bei diesen handelt es sich um die angenehmen Dinge des Lebens, um scheinbares Glück.
Als Beispiel wird oft gutes Essen angeführt: Angenommen, du bist sehr hungrig und wirst auf köstliches Essen eingeladen. Du erlebst eine wahre Gaumenfreude, einen echten Genuss und fühlst dich glücklich.
Wäre nun Essen echtes, wahres Glück, dann müsstest du mit jedem weiteren Bissen immer glücklicher werden. Doch das Gegenteil ist der Fall: Mit zunehmender Menge an Essen verwandelt sich Glück in Leiden.
Daher sagt man auch, dass dieses scheinbare Glück kein wahres Glück ist, sondern lediglich die Beendigung eines Leidenszustandes – in diesem Beispiel wird Hunger beendet.
Echtes Glück vermehrt sich, je mehr wir von der Glücks-”Substanz” zu uns nehmen.
Das bedeutet jedoch nicht, dass wir das Leben nicht genießen sollten.
Im Gegenteil: es ist wichtig, Glück und Freude zu nähren. Viele Sinnesobjekte machen uns glücklich – Musik, gutes Essen, Freunde usw.
“Weltliches” Glück ist jedoch äußerst fragil und nicht von Dauer. Diese Wahrheiten gilt es ebenso zu erkennen.
3. Das Leid der Existenz
Unser Leben ist so beschaffen, dass Leiden jederzeit auftreten können. Wir alle haben das grundsätzliche Potential zu leiden.
Wann trifft es mich? Wann werde ich sterben? Wir wissen es nicht.
Das ist die Natur unserer Existenz.
Es gibt noch viele weitere Arten des Leidens.
Ziel dieser Überlegungen ist, uns damit vertraut zu machen und zu erkennen, dass die Natur unserer Existenz grundsätzlich leidhaft ist. Wenn wir dies erkennen, werden wir handlungsfähig.
Der Buddha sprach: “Dies ist ferner, ihr Mönche, die edle Wahrheit vom Leiden. Geburt ist Leiden, Alter ist Leiden, Krankheit ist Leiden, Tod ist Leiden, mit Unliebem vereint sein ist Leiden, von Liebem getrennt sein ist Leiden, wenn man etwas wünscht und es nicht erlangt, auch das ist Leiden, kurz die fünf Gruppen des Ergreifens sind Leiden.”
(aus: Erich Frauwallner. Die Philosophie des Buddhismus.)
Nachdem wir den Schmerz erkannt haben, müssen wir tiefer schauen und seine Ursachen ausfindig machen, ganz gleich, ob es sich um körperlichen Schmerz, eine komplizierte Beziehung, um Stress, Angst usw. handelt.
Manche sagen: “Ihr Buddhisten beschäftigt euch mit dem Leiden, das macht ja ganz depressiv.”
Doch das Gegenteil ist der Fall: Das Erkennen der Realität macht uns handlungsfähig und entschlossen. Wir können der Wahrheit ins Auge blicken und laufen nicht länger vor dem Unausweichlichen davon.
Das ist mutig, befreiend und gibt Kraft. Die Transformation kann beginnen.
Die 2. Wahrheit: Die Wahren Ursachen…
…sind aufzugeben.
Was sind die Ursachen, die zum Leiden führen?
Aus buddhistischer Sicht entstehen Leiden hauptsächlich aus den sog. Geistesplagen oder Kleshas (Sanskrit kleśa).
Solange Geistesplagen vorhanden sind, gibt es Leiden.
Daher müssen wir die Geistesplagen zunächst benennen und genauer unter die Lupe nehmen.
Zu den Wurzelplagen zählen Begierde (Anhaftung), Hass (Abneigung), Stolz (Hochmut) und verschiedene Formen der Unwissenheit (aufgrund von Nichtwissen kommt es zu falschen Beurteilungen).
In den Schriften werden diese und noch viel mehr Geistesplagen detailliert beschrieben.
4 Arten der Nahrung
Folgen wir Buddhas Ausführungen in der Lehrrede über die Vier Wahrheiten, dann beschreibt er die Ursachen folgendermaßen: “Wenn wir tief schauen, werden wir die Arten von Nahrung entdecken, die dem Leiden zu seinem Entstehen verholfen haben und die es immer noch nähren.”
Er sprach von 4 Arten von Nahrung, die zu unserem Glück oder zu unserem Leiden beitragen kann: essbare Nahrung, Sinneseindrücke, Tatabsichten und Bewusstsein.
Einige der nun folgenden Gedanken sind inspiriert von Thich Nhat Hanh. (siehe: Das Herz von Buddhas Lehre – Leiden verwandeln, die Praxis des glücklichen Lebens.)
Essbare Nahrung
Wir alle wissen, dass aus den Substanzen, die wir in Form von flüssiger und fester Nahrung zu uns nehmen, Leiden entstehen können – körperlich und geistig.
Essen kann sowohl Gift als auch Medizin sein.
Beim Essen sollten wir daher genau prüfen, WAS wir essen, WIE wir essen und WANN wir essen.
In Bezug auf das WAS erinnere ich mich an eine Aussage von Max Lugavere, die ich kürzlich in einem Podcast gehört habe. Er sagte:
“Grundsätzlich sollten wir uns von all jenen Nahrungsmitteln fernhalten, die…
- von Lebensmittelkonzernen produziert,
- in Schachteln u.ä. verpackt und …
- über Werbespots angepriesen werden.” 😊
Oder wie Robert Lustig es auf den Punkt bringt:
„Lebensmittel sollten 1. die Leber schützen und 2. den Darm nähren.
Lebensmittel, die beiden Geboten entsprechen, sind gesund; tun sie dies nicht, sind sie Gift.
Lebensmittel, die nur einem Gebot entsprechen, sind schlecht.“
(aus: Robert Lustig. Wie unser Essen uns krank macht.)
Zum WIE empfehle ich dir meinen Blogbeitrag “3 Tipps für achtsames Essen”.
Was das WANN betrifft, so zeigen mittlerweile viele Forschungsergebnisse, dass eine Mindest-Essenspause von 12-16 Stunden zwischen der letzten Nahrungsaufnahme des Vortages und der ersten am Morgen ein wichtiger Gamechanger in Richtung Gesundheit ist.
Stichwort: Intervallfasten.
Sinneseindrücke
Unsere Sinnesorgane – Augen, Ohren, Nase, Zunge, Körper, Geist – befinden sich in ständigem Austausch mit den jeweiligen Sinnesobjekten.
Alles, was wir sehen, hören, riechen, schmecken, berühren, denken ist Nahrung für unser Bewusstsein.
Diese Eindrücke können negative Emotionen wecken: Begierde nach Ansehen und Schönheit, Hass gegenüber Andersdenkenden usw.
Tatabsichten
Alle Handlungen entspringen einem Willensakt.
Es ist das Wollen, das dem Handeln vorausgeht. Wir alle wollen glücklich sein. Doch oft tun wir Dinge, die das Gegenteil von dem bewirken, was wir eigentlich wollen.
Bewusstsein
In unserem Bewusstsein gibt es viele Anlagen (“Samen”), die durch unser eigenes Denken und Handeln und durch das Denken und Handeln unserer Familie und Gemeinschaft geprägt sind.
Ein unaufhörlicher Strom von Gedanken, Worten und Taten fließt in unser Bewusstsein. Das beeinflusst wiederum unseren Körper, unsere Sprache, unser Denken.
So formen wir uns selbst und unsere Umgebung.
Vielfach ist uns gar nicht bewusst, was wir alles aufnehmen. Erst wenn wir überwältigt sind, wenn wir nicht mehr weiterwissen, erkennen wir, dass wir das Zuviel nicht mehr steuern können.
Nächste Woche geht’s um die dritte und vierte Wahrheit, um den Ausweg aus dem Leiden des Daseins…
Die wahren Feinde haben weder Hände noch Füße…
Zum Abschluss noch ein Zitat aus Shantidevas Werk Der Eintritt in den Weg zum Erwachen das uns nochmal anschaulich zeigt, wer unser wahrer Feind ist:
“Gegner wie Ärger, Verlangen oder dergleichen haben keine Hände und Füße und sind keine Helden – wie haben sie mich dennoch zum Knecht gemacht?
Während sie sich in meinem Geist aufhalten, fügen sie mir mit Vergnügen Schaden zu.
Sie zu dulden und vom Ärger zu verschonen ist fehl am Platz, es ist unangebrachte Geduld.”
(zitiert aus: Tsongkhapa. Der Mittlere Stufenweg)
Meditation und Achtsamkeit helfen uns dabei, die Natur des Lebens zu begreifen.
Viel Freude beim Nachdenken und Meditieren über diese zeitlosen Wahrheiten 🙂
Video mit Meditation
Die erste Meditation beginnt bei Minute 12, die zweite Meditation bei Minute 25.
Audio mit Meditation
Die erste Meditation beginnt bei Minute 12, die zweite Meditation bei Minute 25.
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