Die Meditationen über Tod und Vergänglichkeit helfen im wirklichen Leben. Die Angst vor dem Tod ist die Mutter aller Ängste. Im Tod zeigt sich unser Leben, wir erfahren die Früchte unserer Lebenspraxis.
Im Juni bemerkten wir den Gewichtsverlust. Wir dachten: Na ja, Vater ist bald 90 und im Alter verliert der Körper halt an Gewicht. Im Juli kamen Verdauungsstörungen hinzu und im August 2021 dann die Diagnose: Bauchspeicheldrüsenkrebs.
Beim Termin im Krankenhaus klärt uns die Ärztin über die medizinischen Möglichkeiten auf. Eine OP wäre äußerst risikoreich und kompliziert. Für eine Chemotherapie müsste zunächst eine Gewebeprobe entnommen werden – selbst dies wäre ein riskanter Eingriff. Eine Heilung auf medizinischem Wege gibt es nicht. OP und Chemotherapie würden maximal einige Wochen Lebensverlängerung bedeuten.
LebensQUALITÄT statt QUANTITÄT
Für Vater ist schon vor dem Gespräch mit der Ärztin klar: Keine Chemo. Er kennt diese Therapien. Vor über 30 Jahren erkrankte meine Mutter an Krebs. Vater pflegte und begleitete sie 2 Jahre lang bis zu ihrem letzten Atemzug.
Er kennt die Nebenwirkungen von OP, Chemo und Bestrahlung.
Das will er nicht und sagt klar, mutig und bestimmt: Keine Chemo. Ich entscheide mich für Lebensqualität statt Quantität.
9 Monate nach der Diagnose starb er ruhig und friedvoll. Ohne Aufregung, ohne ein letztes Aufbäumen, ohne Angst. Ganz entspannt hörte er einfach auf zu atmen. Stille.
Den Tod akzeptieren lernen
Als Buddhistin sollte ich täglich über Tod und Vergänglichkeit meditieren. Dabei geht es darum, diese unfassbare Wirklichkeit zu begreifen und schließlich zu akzeptieren.
Es geht nicht um Angst und Panik. Im Gegenteil, erst wenn Tod und Vergänglichkeit zu einer tiefen Erfahrung werden, können wir unser Leben in all seiner Pracht und Kostbarkeit wertschätzen. Wir vergeuden es nicht, sondern wollen unser Potential entdecken und zur vollen Entfaltung bringen.
Freude und Heiterkeit, Ruhe und Gelassenheit sind nur einige Auswirkungen dieser Meditation. So die Theorie 😉
Die Meditationen über Tod und Vergänglichkeit
In der buddhistischen Praxis werden drei Hauptmeditationen zu Tod und Vergänglichkeit empfohlen, mit jeweils drei Unterpunkten, also insgesamt neun Meditationen.
Hier die drei Hauptkontemplationen:
Die erste Meditation: Der Tod ist gewiss.
Bei dieser ersten Meditation denkst du darüber nach, dass es auf dem gesamten Planeten keinen Ort gibt, an dem nicht gestorben wird. Du kannst dich vor dem Tod nicht verstecken, es gibt kein Entkommen. Kein Winkel, keine Höhle, kein Meeresboden, kein Luftraum ist frei von Tod und Sterben.
Auch Stärke, Reichtum und Macht können dich nicht vor dem Tod bewahren.
Auch die Lebensspanne ist nicht verlängerbar. Jede Minute, die vergeht, ist eine Minute weniger Lebenszeit und eine Minute näher am Lebensende.
Shantideva, ein indischer Meister aus dem 8. Jahrhundert sagt:
Tag und Nacht braucht sich dieses Leben ohne Unterbrechung auf und keine Zeit kommt hinzu. Wie sollte da jemand wie ich nicht sterben? aus: Shantideva. Bodhicaryavatara. Kapitel 2, Vers 39.
Ziel dieser ersten Meditation ist es, Gewissheit zu erzeugen, dass du sterben wirst. Wenn du diese Kontemplationen durchführen möchtest, dann übe so, dass du immer von dir selbst ausgehst. Du bist das Bezugsobjekt in deiner Meditation. Denn nur das erzeugt Betroffenheit und stärkt die Gewissheit, dass der Tod tatsächlich real ist.
Denn meist haben wir folgende Denke: Alle müssen sterben, vielleicht auch ich 😉
Die zweite Meditation: Der Zeitpunkt des Todes ist ungewiss.
Hier denkst du darüber nach, dass der Tod jederzeit eintreten kann. Mit großer Wahrscheinlichkeit, lebst du in 100 Jahren nicht mehr. Doch wann du genau sterben wirst, weißt du nicht.
Vielleicht bist du ja schon alt, dann denke: Es gibt keine Garantie, dass ich morgen oder nächste Woche noch lebe.
Vielleicht bist du ja noch jung, dann denke: Es gibt keine Garantie, dass ich alt werde.
Manchmal sterben die Jungen vor den Alten.
Auch unser Körper ist äußerst verletzlich, und viele Umstände können den Tod herbeiführen. Du kennst bestimmt Menschen, die ganz plötzlich verstorben sind, ohne ein hohes Alter erreicht zu haben. Das kann dir und uns allen passieren.
Who knows? Wir BuddhistInnen sagen oft: Ich weiß nicht, was früher kommt: der nächste Tag oder das nächste Leben 😉
Ziel dieser zweiten Meditation ist es, den Entschluss zu fassen, das Leben nicht zu vergeuden, denn es kann ja jederzeit vorbei sein.
Die dritte Meditation: Zum Zeitpunkt des Todes hilft nichts, außer den Lehren
Bei dieser Kontemplation machen wir uns zunächst bewusst, dass wir ganz alleine gehen müssen.
Wir können nichts mitnehmen, weder unsere Liebsten, noch unseren Besitz, weder Ruhm noch Erfolg. Ja selbst unser Körper bleibt zurück, wo wir uns während des Lebens doch so sehr an ihn gewöhnt haben. Wir haben ihn lieb gewonnen, gepflegt und verwöhnt. Doch auch vom Körper müssen wir uns schließlich trennen.
Wir müssen alles, ja wirklich alles zurücklassen.
Während ich da auf meinem Bett liege und mich auch all meine Verwandten und Freunde umgeben, muss ich doch den Schmerz des Sterbens ganz allein erleben. aus: Shantideva. Bodhicaryavatara. Kapitel 2, Vers 40.
Da es sich hier um buddhistische Meditationen handelt, sind mit dem Satz “...hilft nichts, außer den Lehren.”, die religiösen Lehren gemeint.
Wobei es nicht ums Hören oder Lesen der Lehren geht, sondern um die Umsetzung, um die Verwirklichung der Lehren.
Das bedeutet: es geht um die volle Entfaltung des uns innewohnenden Potentials der Liebenden Güte, des Mitgefühls, der Freude und der Weisheit. Leben in Fülle auf Basis der Erkenntnis des Nicht-Selbst und der Leerheit. Dies sind die buddhistischen Ideale, nämlich das höchste eigene Wohl und das höchste Wohl der Anderen zu verwirklichen.
Ganz allgemein und nicht-religiös geht es um die Umsetzung und Verwirklichung des eigenen einzigartigen Potentials. Werde DU, die/der du sein kannst, sozusagen. Nicht im Denken, sondern im Tun. Dann wirst du nichts bereuen und kannst leichter gehen, ohne Angst, ohne Traurigkeit, ohne großen Schmerz.
Ziel der dritten Meditation ist es, den Entschluss zu fassen, JETZT zu beginnen und die Praxis – die Verwirklichung unseres Potentials – nicht aufzuschieben.
Durch Meditation den Geist stärken und Einsicht gewinnen
Bei diesen drei Kontemplationen handelt es sich um sog. analytische Meditationen, die deine Sichtweise und deine Geisteshaltung verändern.
Sie motivieren dich, in die Umsetzung zu kommen: Entwickle dein Potential, deine Größe, deinen inneren Schatz, denn das Leben ist vergänglich. Und es kann schnell und unverhofft vorbei sein.
Da erinnere ich mich an ein Buch von Gay und Katie Hendricks, den Titel hab‘ ich vergessen. Gay Hendricks erzählt von einer Aussage seines Nachbarn, nennen wir ihn Paul. Dieser Paul sagte sinngemäß: Am Ende meines Lebens möchte ich sichergehen, den besten Paul verwirklicht zu haben. Dieser Paul will nicht Peter oder Robert werden, nein. Er will der beste Paul werden, den es gibt. Das ist sein Lebensmotto. Mehr von Katie und Gay Hendricks findest du hier: www.hendricks.com
Die Kontemplation über Tod und Vergänglichkeit hilft auch bei der Begleitung von Kranken und Sterbenden
Ich selbst hatte immer wieder Phasen in meinem Leben, wo ich speziell diese Meditationen oft und intensiver praktiziert hatte. Dabei machte ich auch tiefe Erfahrungen.
Ich bin überzeugt, dass mir diese Praxis beim Begleiten meines Vaters sehr geholfen hat.
Dennoch: Nach dem Tod überwiegt die Trauer. Seit ich denken kann, gab’s immer auch den Vater als Teil meines Lebens. Und nun ist er fort. Für immer. Das ist das Unfassbare. Da kommen Trauer und Tränen. Doch nun, wo der Tod schon einige Monate zurückliegt, überwiegt immer mehr die Dankbarkeit. Danke an die Eltern für alles, was sie für uns getan, was sie uns gegeben haben. 🙏
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